Mirko Bonné

im Gespräch über Orte der Biographie, unfassbare Landschaften und das Wetter

Photo © Julia Sobottka

Herr Bonné, welche Schauplätze Ihrer drei Romane haben für Sie eine besondere Bedeutung?

Meine ersten beiden Romane verarbeiten autobiographische Handlungsorte – unter anderem Orte meiner Kindheit. Der Roman Der junge Fordt von 1999 spielt in Hamburg, meinem Geburtsort Tegernsee und Innsbruck. Innsbruck ist für mich ein wichtiger Ort, nicht zuletzt wegen der Lektüre der Gedichte von Georg Trakl. Mein zweiter Roman Ein langsamer Sturz ist ein Mittelmeerroman und spielt in Marseille und Izmir. Ich wollte die Atmosphäre dieser beiden Städte darstellen, weil sie lange zum Außenbezirk meines literarischen Horizonts gehörten.

Gibt es Parallelen zwischen den beiden Städten?

Beide Städte haben natürlich eine mediterrane Atmosphäre. Aber noch stärker verbindet sie das Wesen einer Grenzstadt, denn beide fungieren als Brückenkopf – zum Orient bzw. zu Nordafrika. Sie zeigen, dass es nicht einfach ist zu sagen, wo Europa anfängt oder aufhört.

Waren Sie für Ihren jüngsten Roman zur Recherche vor Ort?

Im Falle von Der eiskalte Himmel waren die Schauplätze durch die historische Antarktis-Expedition von Ernest Shackleton vorgegeben. Ich bin dort erst hingekommen, als der Roman schon veröffentlicht war. Eine Reederei lud mich ein, auf einer Abenteuerexpeditionskreuzfahrt aus meinem Buch zu lesen.

Und wie haben Sie, nach der theoretischen Annäherung durch die Recherche, die Antarktis erlebt?

Die Recherche war die eigentliche Expedition für mich. Ich habe dabei prägende Dinge entdeckt: was Ödnis bedeutet, welche Geräusche das Eis macht, welche Farben es dort gibt und wie sie entstehen. Im Südmeer habe ich festgestellt, dass es gut für mich war, nicht schon vorher dort gewesen zu sein. Ich hätte es mir nach meinen Eindrücken gar nicht zugetraut, die unfassbaren Eindrücke der Eislandschaft zu beschreiben.

Arbeiten Sie an einem neuen Buch?

Mein neuer Roman spielt in Versailles. In diesem Fall konnte ich mir nicht vorstellen, den Roman zu schreiben, ohne zuvor auch dort gewesen zu sein. Also bin ich hingefahren und habe mir einige Orte angeschaut und viele Photos gemacht.

Warum Versailles?

Den Handlungsrahmen bildet der tödliche Autounfall von Albert Camus im Jahre 1960, südlich von Paris. Ich brauchte einen Ort, um meine Erzählerfigur in der Nähe leben zu lassen. Ich habe mich dann für Versailles aufgrund der historischen Tiefe entschieden: Schloss, Versailler Verträge usw.

Die Auswahl der Handlungsorte ist also ein bewusster Prozess?

Orte bedeuten mir viel. Es ist aber weniger eine geographische als vielmehr eine poetische Sicht auf die Landkarte. Es interessiert mich, was Orte unterscheidet und verbindet, zum Beispiel die Lage und Chronologie von Orten der eigenen Biographie. Jetzt, in meiner zweiten Lebenshälfte, suche ich gezielt Orte auf, an denen ich bereits gewesen bin. Ich sehe dann Unterschiede, denn Orte bleiben zwar an Ort und Stelle, aber sie verändern sich. Wie ich selbst mich verändert habe, das versuche ich auf diese Weise herauszufinden.

Es scheint, als würden Fortbewegungsmittel wie Flugzeug und Schiffe – und deren Zerstörung – eine besondere Rolle in Ihrem Schreiben spielen.

Ja, es ist tatsächlich so, dass in meinen Prosatexten aus Fahrzeugen oftmals Wracks werden. In Der junge Fordt begann das mit einem alten Krad, einer Kreidler Florett. Ein langsamer Sturz hebt an mit einem Flugzeugunglück. Shackletons Schiff “Endurance” sinkt im antarktischen Wedellmeer. Und nun der Autounfall von Camus … Vielleicht, weil das Reisen etwas Körperliches hat: Ein Körper reist von Ort zu Ort durch den Raum. Ein Unfall wirft ihn auf sich selbst zurück.

Sie sagten einmal, Sie halten es wie Camus, der seine Rolle als Schriftsteller darin sah, von dem zu schreiben, was uns alle verbindet: Meer, Regen, Bedürfnis und Kampf gegen den Tod.

Das Meer war für Camus sehr wichtig. Er ist in der Nähe von Algier am Meer aufgewachsen. Wenn Camus Lebendigkeit ausdrücken wollte, hat er oft vom Schwimmen geschrieben. Und die Bedeutung von Regen hat sicherlich mit seinen Wüstenerfahrungen zutun. Mir fällt dazu ein Satz des romantischen Dichters John Keats ein, der sagte: “Das Wichtigste auf der Welt ist schönes Wetter.” Das klingt lapidar, und doch ist das Wetter etwas, das uns alle verbindet.

Interview © Jens Nommel 06/2008

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