Felicitas Hoppe

im Gespräch über Inspirationstourismus, ermüdende Landschaftsbeschreibungen und die Welt als Selbstbedienungsladen

Photo © Sven Paustian

Frau Hoppe, brauchen Sie Orte, um erzählen zu können?

Ja, ich brauche Orte, allerdings nicht unbedingt, um über sie zu schreiben. Noch mehr brauche ich die Bewegung von Ort zu Ort. Das Unterwegssein ist der Motor und das, was das Schreiben trägt.

In Ihrem gerade erschienenen Buch "Der beste Platz der Welt" finden Sie laut Klappentext einen Sehnsuchtsort im schweizer Wallis. Was macht denn einen Sehnsuchtsort im Allgemeinen aus?

Ich gehe mit diesem Begriff sehr sparsam um. Ein Sehnsuchtsort ist erst einmal eine Projektionsfläche. Und ich glaube nicht, dass man diesen idealtypischen Ort suchen kann. Es ist anders: Ich mache die Orte zu meinen Sehnsuchtsorten, an die es mich zufällig verschlägt. Und ich lade diese Orte mit dem auf, was ich mitbringe – ganz ohne Erwartungen. So erstaunt es mich auch immer wieder, wie viel man aus einem Ort „herausholen“ kann. Auf jeden Fall aber ist ein Sehnsuchtsort nur ein Ort, den man auch jederzeit wieder verlassen kann.

In dem genannten Buch bekennen Sie sich zu Ihrer Vorliebe für Ortsnamen, gerne auch einsilbige.

Es gibt eine Poesie und Magie von Ortschaften. Den einen interessieren vielleicht Licht oder Gerüche – mich interessiert die Sprache. Schon beim Durchstreifen des Registers eines Atlanten stößt man auf tolle Namen und Orte. Das ist alles Material für die Phantasie. Das Einsilbige liebe ich, weil in der Kürze Kraft und Energie stecken. Und Prägnanz.

Es scheint, als wollen Sie den Leser mit Ihren Texten aus der realen Reiseführer- oder Baedeker-Welt entführen. Sie stellen die Geographie ganz schön auf den Kopf!

Ich habe einen großen Respekt vor der Baedeker-Welt und ich benutze liebend gerne Reiseführer. Sie sind ja auch eine Form der Literatur und Wirklichkeitsauffassung. In meinem Buch Paradiese. Übersee kommt eine Figur mit Namen „Der kleine Baedeker“ vor – das ist eine Hommage an die Kulturleistung des Reiseführers.

Ein Rezensent der NZZ hat Ihnen ein Wunderwerk „opaker Beschreibungskunst der Landschaft“ nachgesagt. Ist es denn richtig, dass Sie sich für Landschaften interessieren und diese in Ihren Romanen in Szene setzen?

Eigentlich nicht. Meine Verbindung zu Landschaften sind Geschichten und nicht so sehr die Physiognomie der Landschaften. In meinen Texten spiegelt sich also eher die Intensität der Landschaften als die Landschaften selbst. Ich tue mich mit Beschreibungen von Landschaften sogar sehr schwer, vielleicht weil es mich langweilt. Landschaftsbeschreibungen können sehr ermüdend sein und werden in der Weltliteratur auch nur von wenigen beherrscht.

Sie bezeichnen sich als keinen besonders reiselustigen Menschen. Dafür sind Sie doch schon ganz schön rumgekommen…

Es ist wohl etwas kokett, wenn ich behaupte, nicht gerne zu reisen. Denn ich bin in der Tat viel unterwegs, allerdings fast ausschließlich auf fremdbestimmten Reisen, da ich viel eingeladen werde. Übrigens mag ich das fremd bestimmte Reisen. Es nimmt einem die Last eigener Entscheidungen. Und das Unterwegssein zwischen den Orten gibt mir Kraft. Auch der ständige Aufbruch, so anstrengend er ist, hat etwas Vitalisierendes. Und gleichzeitig hat man den großen Genuss des Nachhausekommen, den es ohne das weggehen ja nicht gäbe.

Dann reisen Sie also doch ganz gerne?

Das Reisen ist Abnutzungen unterworfen. Man wird mit der Zeit ein Konsument des Reisens, des vermeintlich Fremden und des Anderen. Es ist schon komisch, wenn man woanders hinkommt und gleich meint zu wissen, wie es dort ist. In Wahrheit ist es natürlich so: Je länger man einem Ort bleibt, desto schwerer wird es, über ihn zu schreiben. Kurzreisen haben dagegen den Vorteil, dass man sehr scharfe Ausschnitte wahrnimmt. Ich würde daher nie einen oberflächlichen Eindruck diskreditieren.

Sie sagten mal, Sie fänden Inspirationstourismus ekelhaft! Sie reisen also nicht um zu recherchieren oder sich inspirieren zu lassen?

Ja, das klingt natürlich sehr moralisch. Aber mein Eindruck ist schon der einer Welt als Selbstbedienungsladen: Man nimmt sich, was man braucht. Es ist großartig, wenn man über Geschichten verfügt aber sie nicht benutzen und permanent verwerten muss. Mit anderen Worten: Was für ein Luxus, an einen Ort zu fahren und zu sagen, ich war hier und es beeinflusst mich auch, aber ich muss es nicht ausschlachten?

Ist Inspiration denn ein Mythos?

Ja, ich glaube schon! Der so genannte Musenkuss ist doch schlicht und einfach ein Ergebnis extremer und gesteigerter Aufmerksamkeit. Der Ortswechsel allein bewirkt für den Autor gar nichts – manchmal führt er bloß zur Reproduktion üblicher Klischees.

Sie sind mit einem Containerschiff um die Welt gefahren. Daraus entstanden ist der Roman Pigafetta. Wie war es an Bord?

Am Anfang war es ein kleiner Schock: Diese Reise – beladen mit Träumen, Vorstellungen und Projektionen musste sich an der Wirklichkeit messen. Die erste Woche war total desillusionierend. Aber dann fing die Arbeit an: Verhalte ich mich wie ein Opfer der eigenen Inspirationswünsche? Es war anstrengend und befriedigend, mit der Situation realistisch und kreativ umzugehen, also aus dem alten Traum einen neuen Traum zu machen.

Sie haben also unerwartetes Neuland entdeckt?

Mir wurde oft eingeredet, ich hätte ja keine Reise um die Welt sondern zu mir selbst gemacht! Aber inzwischen weiß ich: Wer nicht ganz bei sich selbst ist, sollte eine solche Reise besser nicht machen. Mich interessieren Reisen zu mir selbst nicht, denn ich bin nicht auf der Suche nach mir. Wäre ich es, so würde ich wohl am besten zu Hause bleiben.

Interview © Jens Nommel 12/2009

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»Die weitesten Reisen unternimmt
man mit dem Kopf.«

Joseph Conrad

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