Die rechtschaffenen Mörder

Der Roman von Ingo Schulze besteht aus drei Teilen: Im ersten Teil (knapp zwei Drittel des Buches) wird das Leben des Büchernarren Norbert Paulini geschildert, der im Dresden der DDR ein überdimensionales, sehr besonderes und sehr erfolgreiches Antiquariat aufbaut, in dem die gesamte Weltliteratur (zumindest in deutscher Sprache) verfügbar ist, darunter wunderbarerweise auch Bücher, die es in der DDR eigentlich gar nicht geben dürfte. Deshalb wird Paulini auch von der Stasi beobachtet, in Person seiner Frau, was man als Leser allerdings erst ziemlich spät erfährt. Nach der Wende geht es jedoch mit dem Antiquar bergab: Kunden bleiben aus, Konkurrenz durch das Internet entsteht, Schulden häufen sich an, seine Frau trennt sich von ihm, mit seinem Sohn fremdelt er und das Haus, in dem sich seine Bücherschätze angesammelt haben, muss an die früheren Eigentümer aus dem Westen zurückgegeben werden. Paulini flüchte sich mit seinen Büchern zunächst in eine Scheune, dann in ein anderes Haus, wo er und seine Schätze von einem Hochwasser heimgesucht werden. Schließlich flieht er frustriert mit seinen verbliebenen Büchern in einen kleinen Ort in der Sächsischen Schweiz. Dort scheint er sich zu radikalisieren, schimpft nämlich über „...Zehntausende frisch zugereister junge Männer ... die sich aussuchen dürfen, in welcher Stadt sie sich auf unser aller Sozialhilfepolster niederzulassen die Güte haben, um fleißig weiter Kinder zu zeugen und zwischendurch ihre Stirn auf dem Moscheeteppich zu wetzen...", ansonsten hat er aber „nichts gegen Ausländer", dann bricht der Text des ersten Teils unvermittelt ab. Wie ein universal und klassisch gebildeter Mensch zu solchen Ansichten gekommen sein könnte, erfährt man leider nicht. Der zweite Teil wird von einem Schriftsteller namens „Schultze" erzählt, der Paulini schon als junger Mensch kennengelernt hat. Im Laufe seines Lebens kommt Schultze dem Antiquar Paulini immer näher und schreibt schließlich die „Novelle", welche den ersten Teil des Romans ausmacht. Dieser Schultze hat sich „...im Laufe der Zeit ... an die natürliche Verachtung des Westens gegenüber dem Osten ... das westliche Überlegenheitsgefühl ... gewöhnt, ohne es selbst zu merken. Es war wie ein Dauerton, etwas Selbstverständliches." Spricht hier ein Alter Ego von Ingo Schulze? Im dritten, kurzen Teil des Romans trägt die irritierte, westdeutsche Lektorin des Autors Schultze noch etwas zur Fortsetzung Geschichte bei. – Der erste Teil des Romans ist sprachlich recht gelungen, die überraschende und dann schnell abgebrochene Wendung am Ende lässt den Leser allerdings ratlos zurück. Der Rest des Romans fällt dann im Niveau gewaltig ab und führt zum Eindruck eines insgesamt misslungenen Werkes, was nicht weiter verwundert, wenn man weiß, dass Denis Scheck (in „Druckfrisch") wie folgt geurteilt hat: „Ein legendärer Antiquar auf rechten Abwegen, ein zweifelhafter Autor und eine verwirrte Lektorin: In drei virtuosen Tonlagen fügt sich Ingo Schulzes neuer Roman "Die rechtschaffenen Mörder", den man als Buch der Stunde bezeichnen kann."

Handlungsorte

»Heimat entdeckt man erst in der Fremde.«
Siegfried Lenz

Buchdetails

Handlungsorte
Sächsische Schweiz, Havelland (allg.), Riesengebirge (allg.), Dresden, Berlin, Treben, Leipzig, Lichtenhain (Sebnitz)
Buchdaten
Titel: Die rechtschaffenen Mörder
AutorIn: Schulze, Ingo
Kategorie: Roman / Erzählung von 2020
LeserIn: Faun
Eingabe: 11.10.2024


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