Die Wohlgesinnten

Jonathan Littell, 1967 in New York geboren in einer jüdischen Familie russischer Herkunft, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika niedergelassen hatte, wuchs in Frankreich auf und studierte in Yale. Zwischen 1993 und 2001 arbeitete er für die humanitäre Organisation »Aktion gegen den Hunger« (ACF) in Bosnien und Afghanistan, im Kongo und in Tschetschenien. Sein zweiter Roman (Originaltitel: „Les Bienveillantes“), dessen knapp 1.400 Seiten er nach fünf Jahren Recherchearbeit in nur 120 Tagen niederschrieb, erschien 2006. Darin wird aus der Sicht des (fiktiven) hochrangigen SS-Offiziers im Sicherheitsdienst Maximilian Aue (Jahrgang 1913, Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter, promovierter Jurist, frühes NSDAP-Mitglied, in die SS eingetreten, um sich als Homosexueller der Strafverfolgung nach §175 StGB zu entziehen, aber lebenslang seiner Zwillingsschwester inzestuös verbunden) detailliert erzählt, wie Wehrmacht und SS während des Zweiten Weltkriegs in der Ukraine Juden und andere Gruppen verfolgen und vernichten und wie die deutschen Truppen vor Stalingrad scheitern. In dem Buch treten diverse Nazigrößen als Handlungsfiguren auf, u.a. Adolf Eichmann, der Aue zu einer musikalischen Soiree einlädt (Eichmann spielt Geige und referiert über Kants kategorischen Imperativ, der sich aus dessen Sicht im Führerwillen konkretisiert). – In Frankreich wurde der Roman mit den höchsten Preisen ausgezeichnet (Grand Prix du Roman der Académie Française und Prix Goncourt). Jorge Semprun bezeichnete den Roman als „das Ereignis unserer Jahrhunderthälfte“. Claus Peymann meinte: „Dieses Buch ist Stoff für die nächsten fünfzig Jahre. Wir hätten eine etwas bessere Welt, wenn jeder es lesen würde.“ – Bei der deutschen Literaturkritik kam das Werk weniger gut an: „Schließlich ist es, als fiele einem ein tonnenschwerer Stein vom Herzen, wenn man dieses schlimme Buch endlich doch durchgelesen hat. Aber es bleiben einzelne Szenen präsent, die sich wie schwere Alpträume im Bewusstsein eingenistet haben. Da ist etwa die gefühlt 500-seitige Masturbations-, Selbstpenetrierungs- und Fäkalorgie des Ich-Erzählers im leeren ostpreußischen Haus seiner Schwester Una. Man hatte beim Lesen, ohne es zunächst selbst richtig zu bemerken, immer nur den Kopf geschüttelt und gehofft, dass das irgendwann einmal aufhört. Es ist die Sorte ungebeten ausfantasierter Pornografie, die den Leser anspringt, fertig macht und schließlich nur noch anekelt. Wird sie doch nicht zuletzt überblendet mit einzelnen, jäh aufflackernden Mord- und Todesbildern aus der Judenvernichtung, die zuvor bereits über 1.200 Seiten immer wieder detailliert beschrieben worden ist. Es ist ein Snuff-Video aus Wörtern, eine Literatur, die direkt aus der Folterkammer zu stammen scheint.“ (Jan Süselbeck, literaturkritik.de)

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