Karla Paul

die Bloggerin im Gespräch über Welterschließung durch Literatur

Photo © Simone Hawlisch

Frau Paul, Sie schreiben seit Jahren erfolgreich über Bücher.
Wie sieht Ihre geistige Literaturkarte aus?

Versprenkelt bunte Flecken auf einer riesigen weißen Fläche – je mehr ich lese, desto weniger weiß ich. Soll heißen: mit den Jahren wurden mit wachsendem Wissen meine Anforderungen immer größer, ebenso meine Neugier, es gibt auf jede erlesene Antwort ein Dutzend neue Fragen. Ich lese viel, drei bis fünf Bücher pro Woche und das ist meistens deutsche und amerikanische Gegenwartsliteratur, manchmal mit Ausflügen nach Großbritannien, in diesem Jahr nach Georgien, oft nach Frankreich, Italien, Griechenland, Türkei, immer öfter ist auch Afrika dabei, selten Asien oder Australien. Ich lese meist entsprechend den Anforderungen und Anfragen bestimmter Medien, bemühe mich um Vielfalt und scheitere oft. Allerdings werde ich auch hier stetig achtsamer: wer sind meine Autor_innen, wo kommen sie her, welchen Gesellschaften und Kulturen entstammen sie, welche Erfahrungen wollen sie teilen? Wenn ich die Antworten schon habe, sollte ich weitersuchen. Dies wünsche ich mir auch von Leser_Innen, mehr Neugier, mehr Mut für unbekannte Literatur, mehr Frauen, mehr Farbe, mehr raus aus der geistigen Komfortzone und die weißen Flächen füllen.

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Vea Kaiser

im Gespräch über Fluchtwege, erdachte Inseln und das Aussterben von Klischees


Photo © Ingo Pertramer

Vea Kaiser, Ihr erster Roman Blasmusikpop spielt in einem Dorf in den "mittel-hoch-peripher-zentralen-nord-ost-süd-westlichen Sporzer Alpen". Wo ist das bitte genau?

Ich wollte mich geographisch nicht festlegen. Mal habe ich die Geschichte südtirolerisch gesehen, dann wieder bayrisch oder schweizerisch. St. Peter am Anger - so heißt das Dorf, liegt eben irgendwo in den Bergen.

Das Dorf wurde abgeschieden zwischen den Bergen erbaut. Inwiefern ist diese isolierte Situation wichtig für die Figuren und die Handlung?

Also ich persönlich habe mit den Bergen gar nichts am Hut. Aber die Abgeschiedenheit der Bergwelt ist für die Geschichte doch recht wichtig. Die Alternativen wären entweder eine Insel oder der Dschungel gewesen. Aber als Österreicherin habe ich mich für das Bergdorf entschieden. Für mich steht die Welt der Berge sinnbildlich dafür, dass der Mensch nicht alles sehen und denken kann.

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Jens Eisel

im Gespräch über Reibungen, Kulissen und Phantomschmerzen


Photo © Andreas Weiss

Herr Eisel, St. Pauli und der Hamburger Hafen setzen die Kulisse für deine Erzählungen "Hafenlichter". Warum?

St. Pauli war für mich der erste Ort, an dem ich mich wirklich richtig wohl gefühlt habe. Ich kam aus der saarländischen Provinz und hatte hier das erste Mal das Gefühl, dass ich so sein kann, wie ich will, weil hier alles relativ bunt war und sich niemand darum gekümmert hat, wie man aussieht. Ich habe dann bei der Diakonie St. Pauli angefangen und fast zehn Jahre die verschiedensten Menschen aus dem Viertel betreut. Ehemalige Seeleute, Junkies, ältere Damen, die früher im Milieu zuhause gewesen waren. Gleichzeitig habe ich auf dem Kiez gelebt, war fast täglich in Kneipen unterwegs. Durch die Erzählungen auf der Arbeit habe ich viel von dem alten St. Pauli kennengelernt. Als ich 2009 nach Leipzig ging, um am Literaturinstitut zu studieren, wusste ich, dass ich über das Viertel und die Bewohner schreiben will.

Die Geschichten haben den Charakter von Schnappschüssen aus dem Leben der Bewohner Hamburgs. Ist es nicht auch der Charakter des Hafens, der fortwährend kurze Besuche aus der Ferne erhält?

Hört sich nicht schlecht an - beim Schreiben habe ich nicht daran gedacht. Prägend waren für mich zwei Erzählungsbände: Ingo Schulzes "Simple Stories" und Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio". Es sind beides Bücher, deren heimliche Hauptfigur ein Ort ist und deren Erzählungen lose miteinander verwoben sind.

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Andreas Stichmann

im Gespräch über Gegenwelten und psychedelische Sehnsuchtsorte


Photo © Andreas Weiss

Herr Stichmann, Ihr Roman „Das große Leuchten“ spielt irgendwo in Deutschland und an konkreten Orten im Iran. Warum?

Der Roman war als Abenteuerreise gedacht und spielt an verschiedenen Stationen. Allerdings merkt der Leser irgendwann, dass man nicht konkrete Orte, sondern das Gehirn des Protagonisten bereist. Dieser nimmt die Orte, z.B. den Iran, nicht wie ein Journalist wahr, also nüchtern und beschreibend, sondern lädt alles extrem mit seinen eigenen Sehnsüchten auf.

Sie kennen den Iran aus eigener Erfahrung?

Ja, ich war dort im Frühjahr 2009 mit meiner Schwester unterwegs. Wir haben dort Couchsurfing gemacht, uns also im Internet mit Privatleuten verabredet, die uns dann bei sich haben schlafen lassen. Das ist natürlich recherchemäßig ideal, da man vom ersten Tag ganz persönliche Einblicke in das Alltagsleben hat. Dazu kam die für uns beinahe absurde Gastfreundlichkeit der Iraner. Einer unserer Gastgeber hat sich extra freigenommen, um uns die Stadt zu zeigen. Obwohl er seinerseits gar nicht das Geld hätte, in anderen Ländern Couchsurfing zu machen, schien er sehr interessiert daran, Europäer kennenzulernen und aufzunehmen, unter anderem wohl auch, um uns zu zeigen, welche fröhlichen und positiven Seiten sein Land hat - was uns dann auch wirklich überrascht und beeindruckt hat. Wir konnten mit ihm und den anderen Couchsurfern auch über alles reden, also auch über schwierige Themen – das hat mir persönlich aber natürlich auch für das Schreiben sehr viel gebracht.

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Alex Capus

im Gespräch über exotische Schauplätze, die Banalität des Reisens und die Romantik der Trostlosigkeit


Photo © Peter-Andreas Hassiepen

Herr Capus, wie sieht Ihre geistige Literaturkarte aus?

Ich sehe keine abstrakte Karte, sondern etwas wie bei GoogleEarth: Ich schaue mir die Orte wirklich an, lebe und esse da und rede mit den Leuten und weiß deshalb, wie es dort aussieht.

Und es ist eher eine Weltkarte!

Ein wenig bisschen überall auf der Welt. Ich geh eigentlich immer von zuhause aus und dann verschlägt es mich irgendwohin.

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Peter Kurzeck

im Gespräch über Nebenstraßen, Fremdbestimmung und die Heimat als Etikett

Photo © Erika Schmied

Herr Kurzeck, Sie sagten einmal „Als Kind hatte ich die Vorstellung, dass ich überall auf der Welt einmal gewesen sein sollte.“ Wie halten Sie es jetzt?

Ich bin viel gereist. Ich bin mal von Stauffenberg, dem Dorf meiner Kindheit, über den Balkan an den äußeren Rand der Peloponnes gefahren, allerdings auf Nebenstraßen. Dadurch hatte ich die Vorstellung, den Menschen näher zu sein. In abgelegenen Gegenden war ich nicht einfach ein Fremder oder ein Tourist, sondern ein Gast.

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Wie kommt es dann, dass Sie keine Reiseerzählungen publiziert haben?

An der Universität Siegen mache ich derzeit mit Studenten ein Projekt über meine ersten Reisen in den 60’ Jahren. Reisen mit eigenen Autos, oder aber als Tramper, wo man dann die ersten Hippies getroffen hat. Von Jahr zu Jahr hat man gemerkt, dass die Welt größer und weiter wird. So, ab dem Jahr 1966 hatte man den Eindruck, die Welt wird ein besserer Ort und man ist daran beteiligt.

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Christoph Peters

im Gespräch über Flussmenschen, Nomaden und unterschiedliche Aggregatzustände

Photo © Peter von Felbert

Herr Peters, wie sieht Ihre geistige Landkarte aus, die Ihre Handlungsorte zeigt?

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Die Zentrale Achse meiner geistigen Landkarte ist der Rhein: der Niederrhein, wo ich aufgewachsen bin, der Mittelrhein, wo ich lange gelebt habe und schließlich der Oberrhein, wo ich studiert habe. Nicht nur, daß der Fluss mir sehr vertraut ist, er ist für mich im umfänglichen Sinne mit dem Begriff „Heimat“ verbunden. Die Karte wird außerdem maßgeblich von Orten geprägt, die ich als Jugendlicher auf einer Interrailreise besucht – oder sagen wir: gestreift habe: Amsterdam, Paris, Rom, Barcelona, Granada, Fes, Basel, Fribourg, Wien, Athen. Diese Städte sind für mich voller Erinnerungssplittern und Empfindungen.

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Sind Sie damals schon als Schriftsteller zur Recherche dorthin gefahren?

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Ich bin eigentlich immer halb als Maler und halb als Schriftsteller gereist. Aber von dem Moment an, als ich z.B. den Kern der Geschichte zu Das Tuch aus Nacht hatte, bin ich auch als Repräsentant meiner Figuren durch Istanbul gezogen. Vielfach waren es die Augen von Albin Kranz, durch die ich damals die Stadt betrachtet habe.

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Feridun Zaimoglu

im Gespräch über Osteuropa, seine Geländegängigkeit und den Kinderblick auf Orte

Photo © Britta Rating

Herr Zaimoglu, was ist zuerst da: die Geschichte, oder der Handlungsort?

Am Anfang weiß ich um die Geschichte und später dann die Personen. Aus meiner geistigen Landkarte wähle ich dann die geeigneten Orte. Und erst vor Ort, wenn ich noch mal gezielt durch die Straßen gehe und mir Schauplätze anschaue, entsteht die eigentliche Geschichte mit all ihren Details. Die Recherche ist für mich sehr wichtig.

Sie haben bislang 7 Romane geschrieben. Wie sieht Ihre Landkarte aus, die die Handlungsorte zeigt?

Der zentrale Ort meiner Landkarte ist Kiel und der Norden im Allgemeinen. Es ist der Ausgangspunkt für Reisen meiner Protagonisten. Verzeichnet ist aber auch Berlin als Tor nach Osteuropa, genauso wie Polen, Ungarn und Tschechien. Und natürlich Istanbul. Mein neuer Roman spielt in Warschau und dem Ruhrgebiet.

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Felicitas Hoppe

im Gespräch über Inspirationstourismus, ermüdende Landschaftsbeschreibungen und die Welt als Selbstbedienungsladen

Photo © Sven Paustian

Frau Hoppe, brauchen Sie Orte, um erzählen zu können?

Ja, ich brauche Orte, allerdings nicht unbedingt, um über sie zu schreiben. Noch mehr brauche ich die Bewegung von Ort zu Ort. Das Unterwegssein ist der Motor und das, was das Schreiben trägt.

In Ihrem gerade erschienenen Buch "Der beste Platz der Welt" finden Sie laut Klappentext einen Sehnsuchtsort im schweizer Wallis. Was macht denn einen Sehnsuchtsort im Allgemeinen aus?

Ich gehe mit diesem Begriff sehr sparsam um. Ein Sehnsuchtsort ist erst einmal eine Projektionsfläche. Und ich glaube nicht, dass man diesen idealtypischen Ort suchen kann. Es ist anders: Ich mache die Orte zu meinen Sehnsuchtsorten, an die es mich zufällig verschlägt. Und ich lade diese Orte mit dem auf, was ich mitbringe – ganz ohne Erwartungen. So erstaunt es mich auch immer wieder, wie viel man aus einem Ort „herausholen“ kann. Auf jeden Fall aber ist ein Sehnsuchtsort nur ein Ort, den man auch jederzeit wieder verlassen kann.

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Judith Schalansky

im Gespräch über Inseln als Orte der Einsamkeit

Frau Schalansky, Sie haben einen Atlas mit Geschichten abgelegener Inseln herausgebracht. Haben Sie ein besonderes Verhältnis zur Einsamkeit?

Das habe ich mich während der Arbeit an dem Buch auch gefragt. Als Kind bin ich oft allein über die Felder gestreunt, und habe nach der perfekten Baumgruppe Ausschau gehalten. Das waren mein Meer und meine Inseln. Ich glaube, jeder, der schreibt, kennt die Einsamkeit. Es ist nicht unbedingt eine gesellige Angelegenheit. Um dennoch unter Menschen zu kommen, arbeite ich vor allem in der Bibliothek.

Haben Sie vielleicht eine Idee davon, was Einsamkeit mit uns macht?

Im besten Fall bringt sie uns uns selbst näher. Im schlechtesten Fall ist der Preis dafür hoch, bedeutet es, von jeglicher Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein. Deshalb ist es auch merkwürdig, darüber in der Mehrzahl zu schreiben. Einsam sein, heißt ja »Ich bin allein«, und nicht »Wir sind allein.«

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Michael Weins

im Gespräch über Transitzonen, öffnende Blicke und die Sehnsucht am Meer

Photo © Stefan Volk

Herr Weins, welche Orte und Landschaften spielen in Ihren Romanen eine Rolle?

Mich faszinieren vor allem Landschaften, die ich gut kenne. Im Grunde genommen suche ich das Fremde im Vertrauten. Meine Figuren teilen mein Erstaunen über das Fremde, das sich im Vertrauten nicht nur auf der geographischen, sondern auch auf einer psychographischen Landkarte immer wieder blitzartig auftun kann.

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Sie sagen, Sie suchen das Fremde im Vertrauten. Wie machen Sie das?

Immer wieder gibt es Augenblicke, in dem sich scheinbar belanglose, zweckmäßige Landschaften mit einem Zauber überziehen, das kann mit dem sich plötzlich verändernden Licht usw., aber auch mit Stimmungslagen, Einfällen und gesteigerter Konzentration und Aufmerksamkeit zu tun haben. Da ich kein Freund der Langeweile bin, erlebe ich es als Glück, wenn sich in dieser Art plötzlich mein Blick verrückt. Auch wenn ich nicht wirklich Methoden oder Techniken kenne, solche Erlebnisse aktiv herbei zu führen, kann ich mich doch immer wieder auf irgendeine Art und Weise neben mich stellen und auf Dinge, die ich kenne, anders gucken. Ohne diese Fähigkeit würde ich mich zu Tode langweilen.

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Juli Zeh

im Gespräch über Orte als Reservoir fürs Schreiben

Photo © David Finck

Frau Zeh, Ihr Roman Schilf beginnt mit der Lagebeschreibung der Stadt Freiburg. Warum haben Sie Freiburg als Kulisse gewählt?

Ich brauchte Berge, Fahrradfahrer und Menschen, die immer glauben, alles richtig zu machen. Außerdem kenne ich Freiburg ganz gut.

Handlungsort des Romans Spieltrieb ist Ihre Heimatstadt Bonn. Bonn und Freiburg sind mittelgroße provinzielle Städte. Nutzen Sie diese Idylle, um sie durch eine dramatische Handlung zu zerstören? Mit anderen Worten: haben Sie bewusst den Kontrast gesucht?

Natürlich. Es ist ja niemals Zufall, dass man einen Handlungsort wählt. Vor allem suche ich immer Städte aus, in denen ich wenigstens für eine gewisse Zeit gelebt habe, da es sonst schwer ist, sich in die besondere Atmosphäre eines Ortes einzufühlen.

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Katja Henkel

im Gespräch über Freiheit, Barfüßigkeit und die plötzliche Zerstörung der Idylle

Photo © Heike Steinweg

Frau Henkel, Ihr letzter Roman Die Anderen spielt an einem indischen Strand, an dem einige deutsche Aussteiger in einer Art Enklave ihr Glück suchen. Haben Sie den Text auch an Ort und Stelle geschrieben?

Überwiegend. Ich war drei Mal mehrere Monate in Goa, habe also dort geschrieben, aber auch in Hamburg. An den Aussteigern hat mich interessiert, wie gerne sie in der Fremde Gruppen bilden und sich ganz eigene Regeln und Grenzen erschaffen. In fast jeder Strandbar wird eine andere Sprache gesprochen, in der einen treffen sich überwiegend Deutsche, in der nächsten Italiener und in der übernächsten Engländer. Das geschieht ganz automatisch, die Sprache, wenn man sie in einem fremden Land fast verliert, verbindet noch mehr als man glaubt.

Und die Atmosphäre des Ortes hat Sie zum Schreiben der Geschichte inspiriert?

Ich hatte die Gelegenheit, in einem solchen Strandkosmos kleinere und größere Tragödien aus der Distanz zu beobachten. Extreme Temperaturen, hohe Luftfeuchtigkeit, eigenartige Gerüche und Geräusche setzen offenbar andere Kräfte frei, Unruhe, Unsicherheiten, fiebrige Zustände. Ich schreibe über erschütterte Figuren, und meine Geschichte ist fiktiv, aber ganz und gar wahrscheinlich.

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Andreas Münzner

im Gespräch über Parallelräume der Literatur und die Wenignennung von Orten

Herr Münzner, fühlen Sie sich in Ihrer Funktion als Schriftsteller ortsunabhängig?

Ich kann in gewisser Weise unabhängig vom Ort arbeiten. Aber ich bezweifle, dass ich einen Nutzen daraus ziehen kann. Und natürlich, der Schreibort bestimmt die Sicht auf die Geschichte.

Gibt es eine Landschaft für Sie, von der Sie sich in besonderer Weise angezogen fühlen?

Früher war mein Blick in Richtung Mittelmeerraum gerichtet, und ich habe eine zeitlang in Spanien an der Costa Brava gelebt. Ob etwas davon in Texte eingeflossen sein mag, weiß ich nicht, es kann ja auch etwas anderes sein als ein Handlungsort.

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Yoko Tawada

im Gespräch über Deutungsmuster, die Literatur als Rausch und die Eisenbahn

Welche geographischen Orte spielen in Ihrem Werk eine besondere Rolle, bzw. Kulisse?

Ganz verschiedene Orte zwischen Tokyo, New York und Berlin. Oder zwischen den Lofoten-Inseln und Kapstadt. In meinem neuesten Buch Schwager in Bordeaux steht Hamburg endlich im Mittelpunkt. Ich habe von 1982 bis 2006 in Hamburg gelebt. Während ich dort war, konnte ich nicht über Hamburg schreiben.

Ihr neuester Roman spielt neben Hamburg auch in Bordeaux. Beide Städte haben einen Hafen und liegen doch nicht am Meer. Sind es Orte verschiedener Formen von Sehnsucht, wie der Klappentext es beschreibt?

Eine sehr schöne Frage, die ich unbeantwortet lasse, da mir keine schöne Antwort einfällt.

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Norbert Gstrein

im Gespräch über Glaubwürdigkeit, verbrauchte Begriffe und chinesische Millionenstädte

© Peter Andreas Hassiepen

Herr Gstrein, haben Sie eine Sehnsuchtslandschaft?

Das kann ich nicht sagen, aber ich kann sagen, wo ich demnächst hin möchte: in den amerikanischen Südwesten, nach New Mexico. Fragen Sie mich nur nicht, warum.

Hat ein Buch bei Ihnen einen besonderen Eindruck hinterlassen im Hinblick auf die Imagination von fremden Orten?

Natürlich, und nicht nur eines. Das ist immer wieder geschehen. Bei den frühen, zum Teil autobiographischen Büchern von Mario Vargas Llosa zum Beispiel. Da hatte ich beim Lesen den Wunsch, sofort nach Lima zu fahren – obwohl ich natürlich längst dort war, zumindest in dem Lima aus seinen Romanen.

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Artur Becker

im Gespräch über die Masuren, Zeitreisen in die Kindheit und die Angst vor der Natur

Herr Becker, ein Portrait in der Wikipedia zeigt Sie in einem Auto. Sind Sie gerne unterwegs?

Es gibt zwei Arten von Reisen. Zum einen bin ich häufig in Deutschland auf Lesereisen. Ich empfinde es als großen Vorteil, denn ich lerne dieses Land sehr gut kennen, auch wenn es nur Schnappschüsse von für mich fremden Orten sind. Für mich als polnischer Emigrant ist es eine ständige Entdeckungsreise durch ein Land, in dem ich lebe, in dessen Städten meine eigene Geschichte aber nicht verankert ist.
Zum anderen mache ich Zeitreisen in meine Heimat Masuren. Diese privaten Reisen sind mir heilig, weil ich in meiner Erinnerung reise. Es kommt mir oft merkwürdig vor, dass ich schon seit 23 Jahren in Deutschland bin. Ein seltsames Gefühl sagt mir, ich hätte nur kurz eine polnische Kneipe verlassen, um Zigaretten zu holen.

Sie sind noch nicht in Deutschland angekommen?

Ich verstehe Masuren als meine eigene Landschaft. Hier in meiner neuen Heimat Verden an der Aller bei Bremen fühle ich mich oft als Zaungast, obwohl ich schon so lange hier lebe und Deutsch meine Literatursprache ist. Es ist nun mal nicht meine Heimat und ich werde immer ein Gast bleiben, was ich nicht als unangenehm empfinde. Als wäre ich ein Dieb, der von einer fremden Torte isst.

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Frank Schulz

im Gespräch über gute Böden für Romane

Herr Schulz, die beiden ersten Bände Ihrer Hagener Trilogie spielen in der Großstadt  Hamburg und dem kleinen Dorf Hagen bei Stade an der Unterelbe. Das sind zwei recht unterschiedliche Schauplätze.

Die drei Romane handeln von einer Handvoll Figuren, die auf dem Land aufgewachsen sind und in der Stadt erwachsen werden. Und dieser Bruch in der Biographie spielt bei all diesen Figuren eine Rolle. Da sind also einerseits die beengte Heimat in der Jugend und später dann die Kultur und Anonymität der Großstadt auf der anderen Seite. Diese Orte meiner eigenen Biographie gaben mir den Impuls für die Bücher und wurden das große Thema der gesamten Trilogie.

Ist es mehr ein Stadt-Land-Gegensatz oder gar ein Konflikt?

Im zweiten Roman Morbus fonticuli ist es ein Land-Stadt-Konflikt, der sich so zuspitzt, dass der Ich-Erzähler in der Stadt überfordert ist und wieder zurück aufs Land geht. Ein wenig wie in einem Schelmenroman, nur dass sich mein Schelm die kulturell beengten Verhältnisse zurückwünscht. Und das kann nicht gut gehen…

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Tobias Gohlis

im Gespräch über Krimi-Hotspots, Pilgerberichte und den 5-Minuten-Ruhm

Photo © Tobias Gohlis

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Herr Gohlis, wie sehen die typischen Räume der Kriminalliteratur aus?

Typische Räume sind z.B. Banken und Villen, also Räume der Macht und der Reichen. In Kontrast dazu gibt es, wie bei Edgar Wallace, die Unterwelt, verborgene Räume wie Keller, Tunnel und Gräber. Das, was den Kriminalroman hauptsächlich interessiert, ist der soziale Raum.

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Warum sind dann Regionalkrimis so populär?

Der Regionalkrimi ist in eindeutig ein Etikett des Marketings. Das Prinzip des Erfolgs hat Andy Warholmit dem 5-Minuten-Ruhm umschrieben: es ist eine unglaubliche Überhöhung des alltäglichen Lebensgefühls, wenn man erlebt, dass das alltägliche Umfeld von einem überregionalen Medium wie der Literatur beschrieben wird. Darauf beruht der kommerzielle Effekt. Ich bezweifele aber, dass die genaue Beschreibung eines Briefkastens oder des Bäckers um die Ecke einen Sinn erzeugt.

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Ilija Trojanow

im Gespräch über Ortswechsel, indische Elefanten und das Träumen in Parallelwelten

Photo © Thomas Dorn

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Herr Trojanow, Sie haben in Ihrem schriftstellerischen Werk viele Handlungsorte in Indien, Afrika und Europa beschrieben. Haben Sie zu einem Ort eine besondere Beziehung?

Die Stadt Triest spielt gleich in zwei meiner Romane eine zentrale Rolle: in Die Welt ist groß und Rettung lauert überall und Nomade auf vier Kontinenten. Das liegt sicherlich daran, dass Triest die erste Stadt im Westen war, die ich kennenlernte. Es ist aber darüberhinaus auch ein kultureller Ort als Hafenstadt, Treffpunkt und Schnittstelle zwischen allen vier Himmelsrichtungen.

Sie haben viele verschiedene Kulturräume kennengelernt. Kann man kulturelle Räume durch die Literatur erfahren?

Die Literatur ist mit Abstand das beste Mittel, um kulturelle Räume zu erfahren. Die Fremde wird dabei nur dann wahrgenommen, wenn sie kein Abziehbild ist. Wenn aber die Fremde bei ihrem Fluktuieren zwischen Annäherung und Abweisung spür- und sichtbar wird, dann kann der Leser etwas erfahren.

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Mirko Bonné

im Gespräch über Orte der Biographie, unfassbare Landschaften und das Wetter

Photo © Julia Sobottka

Herr Bonné, welche Schauplätze Ihrer drei Romane haben für Sie eine besondere Bedeutung?

Meine ersten beiden Romane verarbeiten autobiographische Handlungsorte – unter anderem Orte meiner Kindheit. Der Roman Der junge Fordt von 1999 spielt in Hamburg, meinem Geburtsort Tegernsee und Innsbruck. Innsbruck ist für mich ein wichtiger Ort, nicht zuletzt wegen der Lektüre der Gedichte von Georg Trakl. Mein zweiter Roman Ein langsamer Sturz ist ein Mittelmeerroman und spielt in Marseille und Izmir. Ich wollte die Atmosphäre dieser beiden Städte darstellen, weil sie lange zum Außenbezirk meines literarischen Horizonts gehörten.

Gibt es Parallelen zwischen den beiden Städten?

Beide Städte haben natürlich eine mediterrane Atmosphäre. Aber noch stärker verbindet sie das Wesen einer Grenzstadt, denn beide fungieren als Brückenkopf – zum Orient bzw. zu Nordafrika. Sie zeigen, dass es nicht einfach ist zu sagen, wo Europa anfängt oder aufhört.

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Brigitte Kronauer

Im Gespräch über Bodenerhebungen und Texte ohne Natur

Photo © Karin Sandler, Wien

Frau Kronauer, brauchen Geschichten Ihrer Meinung nach einen räumliche Bezug?

Zumindest ich selbst als Geschichtenherstellerin brauche eine klare Vorstellung davon, in welchem Ambiente sich meine Figuren bewegen sollen. Verallgemeinern kann man das sicher nicht unbedingt, denken Sie an Beckett. In meinem Fall kommt verschärfend hinzu, dass für mich ein längerer Text ohne Natur, in welcher Form auch immer, an akutem Sauerstoffmangel leidet.

Sie leben in Hamburg. Mit Teufelsbrück trägt einer Ihrer Romane einen Hamburger Ortsnamen. Aber auch die Bergwelt spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Werk. Die Frankfurter Rundschau schrieb über Ihren jüngsten Roman Errötende Mörder: „Wenn das Gebirge ins Spiel kommt, dann wissen die Leser von Brigitte Kronauer, dass es ernst wird“. Welche Rolle spielen die Berge für Sie?

Seit etwa 15 Jahren wandere ich in den Bergen und habe damit noch einmal ein neues landschaftliches Extrem kennen gelernt. Als Flachländerin reagiert man ja schon auf geringe Bodenerhebungen. Umso stärker in der steilen Welt des Hochgebirges. Berge sind nichts Symbolisches, eher Innbilder. Sie stellen Natur in einer normalerweise kaum erlebbaren Wucht dar, auch meteorologisch. Platt gesagt: Sie sind das gestalt gewordene Hohe, von dem man allerdings sehr leicht runterfallen kann.

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Anne Zielke

im Gespräch über die Unüberschaubarkeit der Wildnis

 Photo © Maximilian Rheinländer

Der Handlungsort Ihrer Novelle Arraia ist der brasilianische Urwald – ein Ort klassischer Entdeckungsfahrten. Welche Rolle spielt er in Ihrem Buch?

Der Urwald ist die Bühne für die Geschichte zweier Theologiestudenten, die ihr Priesterpraktikum in Cruzeiro do Sul antreten. Es ist ein Gebiet, das man nicht aus dem Alltag kennt, weil es groß und unüberschaubar ist. Es gibt wohl nur wenige Orte auf der Welt, die einen solchen Charakter haben. Vielleicht Grönland – dort gibt es auch keine Wege.

Haben Sie den Regenwald selbst kennengelernt?

Ich war mehrere Male dort. In besonderer Erinnerung ist mir eine Flussfahrt auf dem Ujakali, einem Zufluss zum Amazonas, wo ich gleich am ersten Tag krank geworden bin. Es ist schon sehr unwirklich, wenn man eine Woche mit 40 Grad Fieber auf einem Boot in einer Hängematte liegt.

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Nikolaus Gelpke

Der Gründer des marebuch Verlags im Gespräch über Aufbruch und Schiffbruch in der Literatur

Herr Gelpke, der marebuch Verlag dürfte in Deutschland der einzige belletristische Verlag sein, dessen Programm geographisch definiert ist.

Ja, davon gehe ich aus. Vielleicht gibt es noch einen Bergverlag? Das würde gut passen, denn die Berge sind in vielerlei Hinsicht das Pendant zum Meer.

Heutzutage ist das Meer ein Symbol für Freizeit und Freiheit. Das war nicht immer so – denken wir an die Bibel, Homers Odyssee oder Moby Dick – sie zeigen das Meer als Bedrohung.

Das ist ganz entscheidend. Angefangen bei den alten Griechen bis Anfang des 20. Jahrhunderts ist das Meer grundsätzlich lebensfeindlich. Es ist erstaunlich, wie spät die Menschen angefangen haben, sich dem Meer positiv zu nähern. So ist auch das Schwimmen eine vergleichsweise junge Bewegungsart. Für eine neue Sichtweise war die Erkenntnis von Bedeutung, wie groß das Meer ist. Dabei spielt die Entwicklung der Kartographie eine entscheidende Rolle.

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Peter Stamm

im Gespräch über ungefähre Landschaften, die Fremde und Paris

 Photo © Stefan Kubli

Herr Stamm, die Handlungsorte Ihrer Erzählungen sind weit in der Welt verstreut. Eignen sich Orte und Landschaften, um Menschen zu beschreiben?

Ich denke schon. Ich glaube, dass Landschaften und Klima die Menschen mindestens so sehr prägen wie ihre Kultur. Ausserdem spielen die Orte in den Texten auch eine Rolle, ich schreibe keine Reiseführer, aber Orte haben Atmosphären, eine Geschichte, von manchen Orten gibt es feste Bilder, Klischees, mit denen oder gegen die man arbeiten kann.

Was meinen Sie mit dem Buchtitel Ungefähre Landschaft?

Ich stamme selbst aus einer ungefähren Landschaft, dem Kanton Thurgau in der Schweiz. Das Gebiet ist weder flach noch gebirgig, weder wirklich ländlich noch städtisch, ganz anders als die prägnanten Alplandschaften zum Beispiel. Ich mag diese Zwischenorte, das Niemandsland, für das sich keiner interessiert. Diese Gebiete sind schwierig zu verstehen und zu beschreiben, aber gerade das ist die Herausforderung.

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Matthias Politycki

im Gespräch über Kuba, Karten und Klischees

Photo © Mathias Bothor

Herr Politycki, Sie haben eine Zeit in Santiago de Cuba gelebt um für Ihren Roman Herr der Hörner zu recherchieren. Ist das Klischee Kubas für den Schriftsteller eine Falle oder eine Chance?

Gerade aufgrund des Klischees, das sich rund um den Buena Vista Social Club gebildet hat, wollte ich ursprünglich gar nicht nach Kuba. Als ich dennoch dort Urlaub machte, habe auch ich zunächst nur Klischees wahrgenommen – als allererste Deutungsmuster, das Land als Fremder zu „verstehen“. Nichts gegen Klischees, sie sind eine Chance, wir brauchen sie überall und immer, um uns überhaupt erst mal zurechtzufinden. Und nicht nur „wir“, auch „die anderen“ – selbstverständlich erfüllte ich als deutscher Autor für die Kubaner erst mal vor allem ein Klischee! Dass es für beide Seiten spannend wird, wenn man dahinter schaut, versteht sich.

Sie haben den Roman nicht geplant?

Nein, ich war damals drauf und dran, einen Roman über die alte Mongolenhauptstadt Samarkand zu schreiben. Dort war ich 1987, und seitdem will ich dieses Buch schreiben. Aber immer wieder schiebt sich eine andre literarische Phantasie dazwischen; ich selbst scheine mit allen Mitteln verhindern zu wollen, dass ich den Roman tatsächlich anpacke. Auch der reale Ort entzieht sich mir sukzessive, wer weiß, vielleicht werde ich mich mein ganzes Leben von diesem Projekt weg schreiben, steuern kann man so was ja nicht. – In meiner Phantasie ist übrigens auch Timbuktu solch ein poetischer Ort. Oder das Tadsch Mahal, weil ich als Kind ein Puzzle davon hatte. Inzwischen war ich freilich dort und habe es mit eigenen Augen gesehen – an das Puzzlebild kam es nicht heran.

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Michael Roes

im Gespräch über die eigenen Grenzen

Herr Roes, fast alle Ihre Romane handeln in der Ferne: in der saudischen Wüste, Algerien, Mali oder am Mississippi. Bezeichnen Sie sich als Reiseschriftsteller?

Nein. Ich bin Schriftsteller, und viele der Handlungen spielen scheinbar woanders. Dabei bin ich ein guter Rechercheur vor Ort, denn ich weiß gerne, worüber ich schreibe. Vor meinem neuen Chinaprojekt habe ich mich lange gescheut, denn vieles, was ich vorher über China gelesen habe, hat mich eher abgeschreckt. Aber es war dann eine gute und tiefe Erfahrung, weil es vollkommen anders war. Es wäre fatal gewesen, einen Roman über China zu schreiben, ohne dort gewesen zu sein. Auch wenn China nicht die Hauptrolle spielt, sondern eher die Folie für die Handlung ist. Es gibt ja viele Autoren, die ihre Reisen am Schreibtisch machen, etwa Karl May als berühmtes Beispiel. Ich glaube, in dem Fall hat man es mit Projektionen zu tun, also mit Fantasieorten und nicht mit realen Orten.

Viele Autoren nutzen ihre eigenen Wohnorte als Kulisse, weil sie sie sehr genau kennen. Stellt das für Sie keinen Reiz dar?

In dem Augenblick, an dem ich an einem Ort bin, bin ich ja real da. Es ist dann auch kein anderer Ort mehr. In der Regel bin ich auch nicht kurz da – im Jemen und Algerien war ich jeweils ein Jahr. Es ist ja nicht nur eine intellektuelle, sondern auch eine physische Auseinandersetzung. Es sind dann keine fremden Orte mehr, über die ich schreibe, sondern eher das Eigene, von dem ich erstmal Abstand nehme. Es ist ein ganz banales psychologisches Phänomen, dass man Abstand braucht, um das Eigene besser wahrzunehmen. Es geht also nicht um die Eroberung der Fremde, sondern um die Erfahrung des Eigenen, in- dem ich mich erstmal davon entferne. Ich bin gerne in Berlin, aber es ist mir viel zu dicht, so dass ich nichts zu schreiben wüsste über mich in dieser Stadt. Letztlich ist die Fremde immer nur der Spiegel des Eigenen. So wie der Ethnologe im Leeren Viertel, der sich entfernt, sich aber in der Fremde erst richtig begegnet. Das ist die Art und Weise, wie ich arbeiten muss. Außerdem ist für mich das Reisen mit Lust verbunden. Ich kann meine intellektuelle Lust mit einer körperlichen Lust verbinden. Es ist schon ein Privileg, sich den Ort des Arbeitens aussuchen zu können.

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Friedrich Ani

im Gespräch über simulierte Reisen und Münchner Stüberl

Photo © Peter von Felbert

Herr Ani, Sie leben in München und haben mal die Anfrage erhalten, einen München-Krimi zu schreiben. Daraus entstand Killing Giesing. Sie sagten einmal, dass Sie den Sound der Stadt München genau kennen. Können Sie den Sound beschreiben?

Der Sound der Stadt München ist kein einheitlicher Sound, der sich ins Ohr schlängelt oder voller Harmonie ist. Ich empfinde den Sound eher als disharmonisch, aber nicht im Sinne einer Vielsprachigkeit, sondern eher als Gebell. Ein Teil des Sounds ist Gebell. Die Menschen sprechen nicht – sie bellen. Unabhängig von den Stimmen gibt es einen Klang der Geräusche: Straßenbahnen, Kinder, Autos natürlich – der übliche Stadtpegel. Und der Sound der Gasthäuser gehört ganz stark zu München. Ich bin ein Gasthausbewohner. Ich mag es, wenn sich die Stimmen vermischen und man sie nicht mehr versteht – wie eine merkwürdige Melodie. Der Sound Münchens ist für mich auch immer wieder überraschend sensibel. Sanft einerseits und dabei schönsprachlich, denn es gibt in München eine Art Dialekt, der in sich sehr melodisch ist.

Sie arbeiten mit sehr vielen Bezügen zur Stadt München, z.B. Straßennamen. Recherchieren Sie vor Ort?

Ich schreibe meistens über Stadtteile, die ich kenne. Ich habe ein Grundbild in mir und weiß, welche Leute dort leben. Und dann fahre ich noch mal hin und schaue es mir bewusst an. Für mich ist das aber vielleicht wichtiger als für den Leser. Ich habe früher noch mehr Straßen benannt, inzwischen erfinde ich auch Sachen, die gar nicht da sind. Ich schreibe sozusagen den Stadtplan um, weil es mir so lieber ist. Es ist eine gewisse Verabredung mit dem Genre Kriminalroman, dass die Geschichten an konkreten Orten spielen. Man bekommt eine ungefähre Vorstellung von dem Ort, den man aber dann mit eigenen Bildern füllt oder verändert.

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Tina Uebel

im Gespräch über Hamburgismen, Extremlandschaften und Lagerhallen voller Eindrücke

Tina Uebel, für Ihren ersten Roman haben Sie Ihre Heimatstadt Hamburg als Handlungsort gewählt.

Beim Roman Ich bin Duke wird Hamburg zwar nicht erwähnt, doch die Stadt ist erkennbar. Das Buch ist eher im Irrealen verortet, aber wenn man Hamburg kennt, wird man viele Orte wie die Elbe oder den Kiez finden. Natürlich ist Hamburg die Stadt, die ich am besten kenne, aber im Grunde genommen könnte es auch eine Großstadt wie Berlin sein. Als Lokalpatriotin habe ich allerdings auch ein wenig Spaß daran, Hamburgismen, wie z. B. das Wort „plietsch“ am Lektor vorbei in die Texte zu schmuggeln.

Gibt es Ihnen Sicherheit, Ihre Geschichte in einem Ihnen bekannten Umfeld spielen zu lassen?

Nicht nur Sicherheit, man hat auch viel mehr zu erzählen. Aufgrund der emotionalen Bindung kann man die Geschichten lebendiger erzählen. Momentan arbeite ich an dem Manuskript einer Science-Fiction-Geschichte, die in den USA spielt. Manchmal muss es eben woanders spielen. Aber natürlich bereichert eine gewisse Verbundenheit und Ortskenntnis eine Erzählung.

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Isabel Abedi

im Gespräch über deutsche Seelenlandschaften und die Schwierigkeiten, sich eine fiktive Insel zu erschaffen


Photo © Boris Rostami-Rabet

Frau Abedi, in Ihrem Buch gibt es zwölf Jugendliche, die für einen Film ausgesucht wurden, der auf einer brasilianischen Insel gedreht werden soll. Gibt es diese Insel wirklich?

Jein. Ich habe keine Insel gewählt, die es gibt und die ich dann beschrieben habe, sondern ich habe mir eine fiktive Insel geschaffen, von der ich aber hoffe, dass es sie so auch geben könnte.

Warum Brasilien?

Ganz einfach. Der erste und wichtigste Grund war, dass ich aufgrund der Handlung weit weg wollte. Ich hatte eine Weile lang mit dem Gedanken gespielt, die Handlung in Italien spielen zu lassen, weil ich den Namen Isola einfach klasse fand.

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Cornelia Funke

im Gespräch über Ligurien als Hauptrolle, die ideale Kinderstadt Venedig und die Zukunft im paradiesischen Los Angeles

Photo © M. Nommel

Frau Funke, Sie haben in Ihren Büchern viele fremde Welten erschaffen. Sie haben aber auch reale geographische Kulissen für Ihre Geschichten benutzt. Welche sind das?

Beim Drachenreiter habe ich noch mit Reiseführern und Interviews mit Freunden gearbeitet, die in den jeweiligen Ländern gelebt haben. Für diese Geschichte bin ich also leider an keinem der Orte gewesen, die ich beschrieben habe, mit Ausnahme der Dolomiten.
Den Herrn der Diebe habe ich dann aber mit Venedig in einer Stadt spielen lassen, die mich immer sehr beeindruckt hat und die ich durch zwei Reisen dorthin kannte. Allerdings habe ich nachher viele Detailinformationen durch Literatur hinzugearbeitet, oder Freunde, die gerade in Venedig waren, gebeten, mir noch ein Photo nachzuliefern. Das war das erste Mal, dass ein Ort wirklich eine Hauptrolle in einem Buch spielte und ein eigener Charakter war. Bei Tintenherz habe ich es wieder so gemacht, dass ein Ort, Ligurien, eine Hauptrolle spielt. Interessanterweise scheint es so zu sein, dass diese Orte immer erst nach einigen Jahren so im Inneren reifen, dass man sie als Ort einer Geschichte benutzt. Momentan bin ich in der Planung zweier Geschichten, von denen eine in Irland und die andere in Englandspielt, zwei Länder, die mir sehr viel bedeuten und die ich schon oft besucht habe. All diese Reisen, die mich dann zu Geschichten inspirieren, habe ich aber nie zu diesem Zweck unternommen. Es war bislang noch nie so, dass ich irgendwo hingefahren bin, weil ich mir dachte, es könnte ein guter Ort für eine Geschichte sein. Bislang wartete die Geschichte immer als Überraschung auf mich.

Die beiden Waisenkinder in Herr der Diebe kommen aus Hamburg. Sie lassen sie bis nach Venedig reisen. Ist Venedig eine Stadt, in der man besonders gut abtauchen kann? Oder hätte es beispielsweise auch München sein können?

Nein, es musste Venedig sein. Keine andere Stadt ist so offensichtlich magisch und wirklich zugleich. Aber entdeckt habe ich es durch eine Reise mit meinem Mann, und die Geschichte vom Herrn der Diebe habe ich erst dort gefunden. Es ist so eine ideale Stadt für Kinder. Kein Verkehr, und die ganze Stadt ist ein Labyrinth zum Versteckenspielen, Venedig ist ein gebautes Abenteuer und keins der Kinder, die mit dem Buch nach Venedig gefahren sind, war bislang enttäuscht. Ich bekomme sehr viel Post und Photos von Kindern, die nur nach Venedig reisen, um dort die Orte zu finden, die sie vom Herrn der Diebe kennen.
Ich versuche immer, Bücher an Orten spielen zu lassen, an die die Kinder auch wirklich reisen können. Sie können nicht nach Hogwarts fahren oder nach Mittelerde, aber nach Venedig.

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