Anne Zielke

im Gespräch über die Unüberschaubarkeit der Wildnis

 Photo © Maximilian Rheinländer

Der Handlungsort Ihrer Novelle Arraia ist der brasilianische Urwald – ein Ort klassischer Entdeckungsfahrten. Welche Rolle spielt er in Ihrem Buch?

Der Urwald ist die Bühne für die Geschichte zweier Theologiestudenten, die ihr Priesterpraktikum in Cruzeiro do Sul antreten. Es ist ein Gebiet, das man nicht aus dem Alltag kennt, weil es groß und unüberschaubar ist. Es gibt wohl nur wenige Orte auf der Welt, die einen solchen Charakter haben. Vielleicht Grönland – dort gibt es auch keine Wege.

Haben Sie den Regenwald selbst kennengelernt?

Ich war mehrere Male dort. In besonderer Erinnerung ist mir eine Flussfahrt auf dem Ujakali, einem Zufluss zum Amazonas, wo ich gleich am ersten Tag krank geworden bin. Es ist schon sehr unwirklich, wenn man eine Woche mit 40 Grad Fieber auf einem Boot in einer Hängematte liegt.

War es eine Reise zum Zwecke einer Recherche?

Es war weder Urlaub noch Arbeit – es war Abenteuer. Ich habe mich damals auf Grundlage des Tagebuchs und der Reisekarte von Che Guevara bewegt: von Buenos Aires über Chile und den Urwald nach Kolumbien. Auf Spuren von Che bin ich dabei nur einmal in Urubamba, Peru, gestoßen, wo ein Eisenbahnhandel seinen Namen trug.

Sie schreiben in dem Buch, dass sich der Verstand von der scheinbaren Unendlichkeit des Urwaldes bedroht sieht. Haben Sie selbst diese Erfahrung gemacht?

Etwas Unendliches kann man sich nicht vorstellen. Man bekommt höchstens eine Ahnung davon, wenn man nach 30 Tagesreisen durch den Urwald merkt, dass man nur unmerklich vorangekommen ist. Den Gedanken, wie verloren man eigentlich in der Mitte vom Nirgendwo ist, darf man sich eigentlich gar nicht machen.

Welche Rolle übernimmt dabei die Wildnis?

Das Wesen des Urwaldes ist wie ein Spiegel der Handlung. Begriffe wie Dunkelheit, Licht, Wasser und Sumpf kann ich bewusst einsetzen. Die Wildnis ist aber auch ein extremer Ort, an dem sich zeigt, was den Menschen in extremen Situationen ausmacht. Für meine Novelle ist der Urwald eine Bühne für zwei Menschen, die sprichwörtlich in einem Boot sitzen. Im Größenverhältnis zeigt sich die Größe der Natur. Für mich ist der Urwald erhaben und respekteinflößend – ein Paradies, jenseits von Gut und Böse.

Sie neigen nicht zur Romantisierung der Natur.

Der Urwald besteht natürlich nicht nur aus saftig grünen Blättern und nackten Eingeborenen mit Baströckchen. Die Hitze schlägt auf den Kreislauf und lässt einen die ganze Zeit schwitzen. Überall sind ekelhafte Viecher, die sich irgendwo einnisten. Es juckt und stinkt.

Sie wussten nicht, was Sie erwartet?

Es gibt ja zwei Arten von Reisen. Diejenigen mit Ziel und die anderen ohne Ziel. Ich gehöre zu denen, die sich zwar etwas vornehmen, dann aber an unvorhergesehene Orte geraten. Ich habe also über Che Guevara eher zufällig den Urwald kennen gelernt und seitdem fasziniert mich der Ort.

In der ersten Auflage Ihrer Novelle gibt es Karten vom brasilianischen Handlungsort.

Ich denke, beim Betrachten der Karten kann man Geschichten noch mal Revue passieren lassen. Ich mochte das schon früher bei Karl May. Gleichzeitig bekommt die Fiktion eine Art Wirklichkeitsanker und eine Erdung. Man denkt sich ja, man könnte dort hinkommen. Dadurch erhält die Literatur etwas Handfestes.
Karten fördern die Phantasie – im Gegensatz zur Verfilmung von Literatur. Sie sind ja im Grunde genommen auch eine Illustration, aber sie schränken die eigene Vorstellungskraft nicht ein. Karten passen überhaupt sehr gut zur Literatur.

Interview © Jens Nommel 03/2008

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