Peter Stamm

im Gespräch über ungefähre Landschaften, die Fremde und Paris

Photo © Stefan Kubli

Herr Stamm, die Handlungsorte Ihrer Erzählungen sind weit in der Welt verstreut. Eignen sich Orte und Landschaften, um Menschen zu beschreiben?

Ich denke schon. Ich glaube, dass Landschaften und Klima die Menschen mindestens so sehr prägen wie ihre Kultur. Ausserdem spielen die Orte in den Texten auch eine Rolle, ich schreibe keine Reiseführer, aber Orte haben Atmosphären, eine Geschichte, von manchen Orten gibt es feste Bilder, Klischees, mit denen oder gegen die man arbeiten kann.

Was meinen Sie mit dem Buchtitel Ungefähre Landschaft?

Ich stamme selbst aus einer ungefähren Landschaft, dem Kanton Thurgau in der Schweiz. Das Gebiet ist weder flach noch gebirgig, weder wirklich ländlich noch städtisch, ganz anders als die prägnanten Alplandschaften zum Beispiel. Ich mag diese Zwischenorte, das Niemandsland, für das sich keiner interessiert. Diese Gebiete sind schwierig zu verstehen und zu beschreiben, aber gerade das ist die Herausforderung.

Der Handlungsort des Buchs ist der Norden Norwegens. Haben Sie für das Buch Ihre Sprache an die karge Landschaft des hohen Nordens angepasst?

Nicht angepasst. Aber ich versetze mich in eine Stimmung, wenn ich einen Text schreibe und aus dieser Stimmung heraus entsteht dann die Sprache.

Auf welche Art gehen Ort & Handlung, bzw. Orte & Protagonisten, in Ihrem Werk eine Beziehung ein?

Nun, erst Mal kommen die Figuren aus einer bestimmten Gegend und sind von ihr geprägt. Dann bewegen sie sich oft draussen, erleben und empfinden die Landschaften und auch das Wetter. Ein Kritiker hat mir mal “meteorologischen Manierismus” vorgeworfen. Aber das Wetter spielt auch in meinem Leben eine grosse Rolle. Es beeinflusst ganz wesentlich meine Stimmung.

Dient die Nennung von Orten der geographischen Orientierung beim Leser?

Nicht wirklich. Es gibt schon die Leser, die sagen, sie hätten auf der Karte nachgeschaut, wo genau eine Geschichte spielt. Aber im Falle von Ungefähre Landschaft wird der Name des Dorfes nie genannt. Man muss schon die Fahrpläne der Hurtigroute studieren, um herauszufinden, dass es sich um Baatsfjord handelt. In An einem Tag wie diesem spielt der Ort eine ganz andere Rolle. Paris steht hier ganz stark für die Bilder, die wir von dieser Stadt haben. Auch das haben einige Kritiker nicht verstanden: dass ich die Paris-Klischees nicht einfach reproduziere, sondern dass es mir darum geht, zu zeigen, wie ein Mensch im Bild lebt, das er sich von seiner Stadt gemacht hat.

In Ihren Texten gehen Änderungen im Leben oftmals mit örtlichen Veränderungen einher. Ist das für Sie eine Zwangsläufigkeit?

Nicht unbedingt. Vielleicht ist das autobiographisch. Ich bin immer viel gereist, habe an verschiedenen Orten gelebt. Und wenn man neu an einen Ort kommt, ist man empfindlicher, als an Orten, die man schon lange kennt. Diese Momente interessieren mich, in denen man seinen Eindrücken schutzlos ausgesetzt ist und in denen alles möglich zu sein scheint.

Haben Sie sich denn – ähnlich wie Andreas in An einem Tag wie diesen – in Paris fremd gefühlt?

Ich habe mich oft fremd gefühlt, vor allem, als ich mit neunzehn direkt aus einem Dorf nach Paris kam. Aber ich habe gelernt, dieses Gefühl der Fremdheit zu schätzen. Schwieriger war in den grossen Städten oft die Einsamkeit. Aber auch damit kann man umzugehen lernen.

Herr Stamm, Sie brechen bald zu einer Lesereise nach Sibirien auf. Werden Sie für ein neues Buch recherchieren?

Nein. Für das neue Buch habe ich in letzter Zeit viel in München recherchiert und etwas in Marseille. Ob aus Sibirien jemals ein Text entsteht, weiss ich nicht. Erstmal werde ich die Augen und die Ohren offen halten.

Interview © Jens Nommel 02/2008

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