Friedrich Ani

im Gespräch über simulierte Reisen und Münchner Stüberl

Photo © Peter von Felbert

Herr Ani, Sie leben in München und haben mal die Anfrage erhalten, einen München-Krimi zu schreiben. Daraus entstand Killing Giesing. Sie sagten einmal, dass Sie den Sound der Stadt München genau kennen. Können Sie den Sound beschreiben?

Der Sound der Stadt München ist kein einheitlicher Sound, der sich ins Ohr schlängelt oder voller Harmonie ist. Ich empfinde den Sound eher als disharmonisch, aber nicht im Sinne einer Vielsprachigkeit, sondern eher als Gebell. Ein Teil des Sounds ist Gebell. Die Menschen sprechen nicht – sie bellen. Unabhängig von den Stimmen gibt es einen Klang der Geräusche: Straßenbahnen, Kinder, Autos natürlich – der übliche Stadtpegel. Und der Sound der Gasthäuser gehört ganz stark zu München. Ich bin ein Gasthausbewohner. Ich mag es, wenn sich die Stimmen vermischen und man sie nicht mehr versteht – wie eine merkwürdige Melodie. Der Sound Münchens ist für mich auch immer wieder überraschend sensibel. Sanft einerseits und dabei schönsprachlich, denn es gibt in München eine Art Dialekt, der in sich sehr melodisch ist.

Sie arbeiten mit sehr vielen Bezügen zur Stadt München, z.B. Straßennamen. Recherchieren Sie vor Ort?

Ich schreibe meistens über Stadtteile, die ich kenne. Ich habe ein Grundbild in mir und weiß, welche Leute dort leben. Und dann fahre ich noch mal hin und schaue es mir bewusst an. Für mich ist das aber vielleicht wichtiger als für den Leser. Ich habe früher noch mehr Straßen benannt, inzwischen erfinde ich auch Sachen, die gar nicht da sind. Ich schreibe sozusagen den Stadtplan um, weil es mir so lieber ist. Es ist eine gewisse Verabredung mit dem Genre Kriminalroman, dass die Geschichten an konkreten Orten spielen. Man bekommt eine ungefähre Vorstellung von dem Ort, den man aber dann mit eigenen Bildern füllt oder verändert.

Ist es wichtig für das Verständnis Ihrer Krimis, München zu kennen?

Nein, überhaupt nicht. Je weniger man München kennt, umso besser! Man kann sich die Stadt erlesen und mehr nicht. Und oft stimmen meine Beschreibungen ja auch nicht mit dem realen Stadtgesicht überein.

Dienen die Stadtviertel zur näheren Beschreibung der Figuren?

Sicherlich. Ich glaube, der Ort, an dem die Geschichte spielt, ist Teil der Geschichte. Und ich achte darauf, dass die Geschichten nicht am falschen Ort spielen – die Menschen können eben nur dort wohnen.

Sie beschreiben in Hinter blinden Fenstern die wachsende Überwachung der Öffentlichkeit per Kamera. Wollen Sie explizit darauf aufmerksam machen?

Meine Figuren betrachten diese Entwicklung aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Und die „SUSI“ spielt eine wichtige Rolle: die SUbjektive SIcherheit. Das mögen die Leute. Sie fühlen sich sicher, wenn sie Überwachungskameras sehen.

Eine Ihrer Figuren sagt: „Es gibt Orte, die das Verbrechen anziehen“ – wie ist das zu verstehen?

Ich glaube, dass es Gegenden oder Wohnorte gibt, die quasi von Gedanken durchtränkt sind. Es gibt dann mehrere Verbrechen. In den anderen Vierteln kommt es nur nicht heraus, weil die Menschen sich noch unter Kontrolle haben. Das ist eine Projektion von mir.

Hat das im weiteren Sinne mit einer mangelnden Sozialkontrolle zu tun?

Es hat eher was mit Anziehungskräften zu tun. So, wie die Liebe die Menschen anzieht, können auch dunkle Gedanken diejenigen Menschen anziehen, die ähnlich denken. Für mich ist erstmal der Wohnblock ein hermetischer Raum, in dem so etwas möglich ist. Und noch kleiner: eine Familie, in der die einzelnen Mitglieder zerstörerisch wirken können. Die städtebauliche Situation interessiert mich dabei weniger, denn auch in einem anderen Umfeld wäre die zerstörerische Energie ja die gleiche.

Ist die Anonymität in der Großstadt ein besonderes Thema für Sie?

Es ist eine Art Verabredung mit der Stadt. Wenn man dort hingeht, dann muss man eine gewisse Anonymität akzeptieren. Wenn man es nicht aushält, muss man wieder aufs Land gehen. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, und mir reichte es mit der Sozialkontrolle. Ich bin gern anonym. Ich könnte nicht ein Schauspieler sein, der auf der Straße erkannt wird. Für mich ist deshalb die Anonymität in der Großstadt sehr positiv. Und die Großstadt ruft deshalb nicht mehr Verbrechen hervor. Ich finde, es gibt nichts Verbrecherischeres als ein Dorf.

Aber könnte man Ihre Geschichten in einem Dorf erzählen lassen?

Nein. Meine Figuren sind Großstadtmenschen, die Probleme haben. Sie ringen mit der übergroßen Welt um sie herum. Mein Personal sind unscheinbare Menschen in schlecht beleuchteten Zimmern. Und sie haben Sehnsucht nach mehr. Für die Kommunikation gibt es in München die Stüberl – wie das Marienstüberl in Hinter blinden Fenstern. Hier ermöglicht oft erst der Alkohol das Sprechen. Es ist ein wichtiger Ort für meine Figuren.

Sie haben mal eine zeitlang in einem Münchner Grandhotel residiert. Sie haben gesagt, Sie hätten das Reisen simuliert – man wäre woanders und gleichzeitig daheim. Wie war die Erfahrung?

Ja, genau so! Ich fühlte mich dort sehr aufgehoben. Für zweimal drei Wochen war ich dort und habe einige Glossen für die Süddeutsche Zeitung geschrieben. Ich könnte mir aber auch vorstellen, für eine gewisse Zeit auf einem Schiff mitzufahren, um zu schreiben.

Interview © Jens Nommel 11/2007

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