Nikolaus Gelpke

Der Gründer des marebuch Verlags im Gespräch über Aufbruch und Schiffbruch in der Literatur

Herr Gelpke, der marebuch Verlag dürfte in Deutschland der einzige belletristische Verlag sein, dessen Programm geographisch definiert ist.

Ja, davon gehe ich aus. Vielleicht gibt es noch einen Bergverlag? Das würde gut passen, denn die Berge sind in vielerlei Hinsicht das Pendant zum Meer.

Heutzutage ist das Meer ein Symbol für Freizeit und Freiheit. Das war nicht immer so – denken wir an die Bibel, Homers Odyssee oder Moby Dick – sie zeigen das Meer als Bedrohung.

Das ist ganz entscheidend. Angefangen bei den alten Griechen bis Anfang des 20. Jahrhunderts ist das Meer grundsätzlich lebensfeindlich. Es ist erstaunlich, wie spät die Menschen angefangen haben, sich dem Meer positiv zu nähern. So ist auch das Schwimmen eine vergleichsweise junge Bewegungsart. Für eine neue Sichtweise war die Erkenntnis von Bedeutung, wie groß das Meer ist. Dabei spielt die Entwicklung der Kartographie eine entscheidende Rolle.

Wofür steht das Meer in der Literatur?

Eines meiner Lieblingsbücher ist Die weißen Sklaven von Dean King. Der Titel zeigt einerseits die Gefahr und Angst vor dem Meer, als ein Schiff vor der mauretanischen Küste kentert, und andererseits die Chance, die sich daraus ergibt – nämlich die Konfrontation verschiedener Kulturen. Das findet man in der Literatur häufig: Menschen geraten in neue Situationen, wenn sie aufbrechen. Das Meer bietet insbesondere die Möglichkeit, uns mit dem Unbekannten auseinanderzusetzen – im Jenseits dessen, was wir kennen. Es ist das Synonym für das Danach, bzw. für das, was unsichtbar hinter dem Horizont liegt. Das beflügelt die Phantasie wie auch die Ängste.

Warum endet die Reise oftmals mit Schiffbruch oder auf einer einsamen Insel?

Gerade die Situation einer Insel ist fast immer mit extremer Abgeschiedenheit gleichzusetzen. Das Thema von Herr der Fliegen* (eine Gruppe von sechs- bis zwölfjährigen englischen Schuljungen überlebt einen Flugzeugabsturz über dem Pazifik und findet sich auf einer paradiesisch anmutenden, unbewohnten Insel wieder) hat Arabella Edge in Der Unmensch aufgegriffen. Menschen begeben sich durch die Seefahrt in komplett andere und neue Situationen. Und die Insel ist so interessant, weil sie klar abgegrenzt und isoliert ist. Hier können sich kleine eigenständige Gesellschaften entwickeln – zum Teil mit eigenen Gesetzen. Das Thema wird bei uns deshalb vielfältig behandelt, so ist auch Die Insel von Thursten Clark zu nennen. Alfred von Cleef wiederum beschreibt in seinem autobiographischen Roman Die verirrte Insel seine von Liebeskummer ausgelöste Reise zum abgelegensten Ort der Welt: die Insel Amsterdam im Indischen Ozean.

Welche Bedeutung haben Schiffe im marebuch Verlagsprogramm?

Im Roman Der Ausflug von Edward T. O’Donnell steht ein historisches Schiffsunglück im Mittelpunkt der Handlung. Bei einer sonntäglichen Ausfahrt 1904 fängt ein Raddampfer vor Manhattan Feuer – es verbrannten 1300 Menschen, zum überwiegenden Teil Frauen und Kinder der deutschen Gemeinde New Yorks. Little Germany war am nächsten Tag fast ausgestorben – es war das größte Unglück Manhattans vor 9/11. Als in der Folge auch viele deutsche Männer die Stadt verließen, war das Viertel Geschichte. Ganz im Kontrast dazu haben sich David Foster Wallace und Matthias Politycki auf heutige Kreuzfahrtschiffe begeben und aberwitzige Reportagen verfasst.

Als Segler wissen Sie, was das Reisen auf einem Schiff ausmacht.

Der Alltag auf einem Schiff ist komplett anders, weil Reize jeglicher Art extrem reduziert sind – es gibt fast keine Gerüche, wenig Farben und immer die gleichen Geräusche. Und diese Reduktion führt zur Kontemplation. Die See weckt und fordert aber auch den Geist, weil man als Segler ständig mit der Navigation und der Wetter- und Seebeobachtung beschäftigt ist. Ein Titel, der dies sehr anschaulich zeigt, ist Kap Zorn von Björn Larsson. Er handelt von einer langen Segelreise zwischen Schottland, Wales, Irland, der Bretagne und dem spanischen Galizien.

Und immer wieder geht es um die Beziehung Mensch & Meer?

Natürlich. Oftmals geht es um die Demut, die man lernen muss, um mit der Natur umzugehen. Dieses Thema findet man immer wieder in der Literatur. Bei Berserk von David Mercy fahren z.B. drei junge Männer mit einem kleinen baufälligen Segelboot in die Antarktis. Oder auch The Perfect Storm* von James Horner. In anschaulicher Weise erlebt man in einem kleinen Fischerboot die Hybris des Menschen, die sich erfolglos am Meer misst. Und in Helmut Kuhns autobiographischen Roman Nordstern verschwindet der eigene Vater auf See. Das Verschwinden von Mensch auf See ist ein oftmals literarisch aufgegriffenes Thema, weil die Unsicherheit für die Hinterbliebenen ein besonders großes psychisches Problem ist, denn meistens fehlen jegliche Spuren.

Und wo bleiben die Sehnsucht, das Glück und das Wohlbefinden am Meer?

Ein Titel in unserem Verlag heißt Einfach schweben – Untertitel: Wie das Meer den Menschen glücklich macht. Eva Tenzer thematisiert darin, was den Zauber des Meeres ausmacht. Aber natürlich geht ein solches Buch nicht so sehr in die Tiefe, wie die existentielleren Gefühle wie Angst, Furcht und Isolation. Interessanterweise ist der positive Einfluss in unserem Leben im Vergleich weniger tief wahrnehmbar. Die Angst ist sehr viel stärker als das Glück und damit interessanter für die Künste, für die Literatur, wie auch für die Malerei und Photografie.

* dieser Titel ist nicht im marebuch-Verlag erschienen

Interview © Jens Nommel 02/2008

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