Peter Kurzeck
im Gespräch über Nebenstraßen, Fremdbestimmung und die Heimat als Etikett
Photo © Erika Schmied
Herr Kurzeck, Sie sagten einmal „Als Kind hatte ich die Vorstellung, dass ich überall auf der Welt einmal gewesen sein sollte.“ Wie halten Sie es jetzt?
Ich bin viel gereist. Ich bin mal von Stauffenberg, dem Dorf meiner Kindheit, über den Balkan an den äußeren Rand der Peloponnes gefahren, allerdings auf Nebenstraßen. Dadurch hatte ich die Vorstellung, den Menschen näher zu sein. In abgelegenen Gegenden war ich nicht einfach ein Fremder oder ein Tourist, sondern ein Gast.
Wie kommt es dann, dass Sie keine Reiseerzählungen publiziert haben?
An der Universität Siegen mache ich derzeit mit Studenten ein Projekt über meine ersten Reisen in den 60’ Jahren. Reisen mit eigenen Autos, oder aber als Tramper, wo man dann die ersten Hippies getroffen hat. Von Jahr zu Jahr hat man gemerkt, dass die Welt größer und weiter wird. So, ab dem Jahr 1966 hatte man den Eindruck, die Welt wird ein besserer Ort und man ist daran beteiligt.
Waren Sie immer mit dem Auto und der Bahn unterwegs?
Ich war auch einmal auf Lesereise in China, genauer in Shanghai und in umliegenden kleineren Städten. Auf solchen Reisen erlebt man aber nichts. Da ist die lange Flugreise, auf der nichts passiert, obwohl man weiß, dass man gerade über den Himalaya und später über die Mongolei fliegt, man selbst sitzt aber nur in der Luft. Ich habe später versucht, jemandem von der Fremdbestimmung zu erzählen, und habe gemerkt, dass ich doch eine Menge Details wahrgenommen habe.
In Ihren autobiographischen Erzählungen hat man den Eindruck, die Zeit ist Ihnen wichtiger als der Raum.
Natürlich ist beides wichtig, denn sie prägen sich gegenseitig. Die Zeit prägt den Raum. Zum Beispiel, wenn der Raum im Jahre 1950 ein anderer als jetzt war. Und der Raum prägt die Zeit. Es war anders, in diesem Dorf Stauffenberg aufzuwachsen, als irgendwo anders. Das spürt man natürlich schon.
Wie stehen Sie zu dem Begriff Heimat?
Der Begriff ist bestenfalls ein Hilfsmittel um etwas einzugrenzen, was man aber vielleicht gar nicht eingrenzen muss. Es ist wie ein kleines Etikett, das man irgendwo draufklebt. Es würde genauer werden, wenn man nicht diese Kategorien benutzt, sondern versucht, es exakter zu formulieren.
Es sind drei Orte, die Sie und somit auch Ihre Erzählungen maßgeblich prägen: das hessische Dorf, die Großstadt Frankfurt am Main und die südfranzösische Kleinstadt Uzès in der Ferne.
Was noch dazugehört ist mein Geburtsort Tachau in Böhmen, wo ich ziemlich oft hinkomme. Durch die Nachkriegszeit wirkt der Ort auch jetzt noch wie abgeschnitten von der Zukunft. Die Landschaft drum herum ist leer und öde, weil kleinere Dörfer nach der Aussiedlung der Deutschen weggenommen wurden. Ich bin auch gerne auf der österreichischen Seite, wo die Menschen den gleichen Dialekt sprechen wie meine Eltern.
Ist die Landschaft wo Sie geboren wurden, auch Ihre Sehnsuchtslandschaft?
Ja, es ist der Böhmerwald oder ähnliche Landschaften wie das Mühlviertel im benachbarten Österreich. Auch auf dem Balkan gibt es Landschaften, die mich sehr anziehen. Ich bin aber auch gerne in Städten. Ich bin jahrelang nach Paris gefahren, nur um immer weiter in den Straßen herumzulaufen. Und mit Rom geht es mir ähnlich. Es gibt in der Gegend von Rom den Ort Olevano, der auch bei Rolf Dieter Brinkmann vorkommt. Wenn ich nur 2 Stunden an diesem Ort bin, habe ich das Gefühl, ich hätte mein Leben dort verbringen können, obwohl ich dort fremd bin. Es sind die gleichen Gassen, in denen man sofort denkt, hier könntest du als Kind gespielt haben. Dann kommt noch hinzu, dass sie eine alte Straßenbeleuchtung haben, die so ist, wie sie nach dem Krieg in Stauffenberg war. Auch die Gerüche dort, die Tageszeiten, die alten Läden und die spielenden Kinder erinnern mich an meine Kindheit.
Basiert Vertrautheit gegenüber Orten immer auf der eigenen Vergangenheit?
Nicht nur. Vertraut werden mir auch Orte, wenn ich dort arbeite. In Rom habe ich an meinem Buch „Vorabend“ gearbeitet.
Arno Geiger hat geschrieben, dass die Welt im Urlaub, also fern von der Arbeit, etwas weniger real ist.
Ja. Bei der Arbeit wird die Welt wirklicher, weil sie mit mir spricht.
© Jens Nommel 01/2012