Andreas Stichmann
im Gespräch über Gegenwelten und psychedelische Sehnsuchtsorte
Photo © Andreas Weiss
Herr Stichmann, Ihr Roman „Das große Leuchten“ spielt irgendwo in Deutschland und an konkreten Orten im Iran. Warum?
Der Roman war als Abenteuerreise gedacht und spielt an verschiedenen Stationen. Allerdings merkt der Leser irgendwann, dass man nicht konkrete Orte, sondern das Gehirn des Protagonisten bereist. Dieser nimmt die Orte, z.B. den Iran, nicht wie ein Journalist wahr, also nüchtern und beschreibend, sondern lädt alles extrem mit seinen eigenen Sehnsüchten auf.
Sie kennen den Iran aus eigener Erfahrung?
Ja, ich war dort im Frühjahr 2009 mit meiner Schwester unterwegs. Wir haben dort Couchsurfing gemacht, uns also im Internet mit Privatleuten verabredet, die uns dann bei sich haben schlafen lassen. Das ist natürlich recherchemäßig ideal, da man vom ersten Tag ganz persönliche Einblicke in das Alltagsleben hat. Dazu kam die für uns beinahe absurde Gastfreundlichkeit der Iraner. Einer unserer Gastgeber hat sich extra freigenommen, um uns die Stadt zu zeigen. Obwohl er seinerseits gar nicht das Geld hätte, in anderen Ländern Couchsurfing zu machen, schien er sehr interessiert daran, Europäer kennenzulernen und aufzunehmen, unter anderem wohl auch, um uns zu zeigen, welche fröhlichen und positiven Seiten sein Land hat - was uns dann auch wirklich überrascht und beeindruckt hat. Wir konnten mit ihm und den anderen Couchsurfern auch über alles reden, also auch über schwierige Themen – das hat mir persönlich aber natürlich auch für das Schreiben sehr viel gebracht.
Ist der Iran als Handlungsort eine Art Gegenpol zu Deutschland?
In den Iran bin ich geflogen, als ich die Hauptfiguren des Romans bereits entwickelt hatte. Die Hauptperson wächst in Deutschland in einem Hippiehaushalt auf. Eigentlich hat er keine eigene Familie und lebt unter lauter Einzelgängern – egozentrische Alt-68er. Der Iran stellt eine Gegenwelt dazu dar. Diese Welt ist von starken sozialen Bindungen geprägt, in der die Menschen eng zusammenleben. Die Familie spielt damit eine zentrale Rolle. Rupert, die Hauptfigur romantisiert und idealisiert diese Idee von der persischen Großfamilie allerdings auch. Er ist ja ein ziemlich verrückter Erzähler und gleitet sowohl in ziemlich surreale als auch manchmal beinahe alberne Fantasien ab. Der Gegensatz Individualisten-Deutschland und Familien-Iran wird also auch absichtlich zugespitzt.
Wie sind Sie denn auf den Iran gekommen?
Ein guter Freund von mir ist aus dem Iran. Durch Gespräche mit ihm habe ich einen Eindruck von dem Leben im Iran bekommen, und so ist eine Figur entstanden, die dann letztendlich zu der Romanidee geführt hat. Glücklicherweise ist es aber so, dass man ja Recherche und Leben nicht so trennen kann. Ich fahre vielleicht an einen Ort und suche die abenteuerliche Situation, um darüber zu schreiben – aber andererseits bringt es mir auch persönlich viel und ich bin froh, Dinge zu erleben, die ich als Urlauber vielleicht nicht mitbekommen hätte.
Teheran aus der Perspektive des Autoren
Die Suche nach einer jungen Frau führt die Protagonisten des Romans in die Wüste. Welche Rolle spielt die karge Landschaft für die Geschichte?
Im Grunde genommen ist die von mir beschriebene deutsche Welt um einiges unwirklicher und surrealer als die iranische Wüste. Der Held fühlt sich zuhause also nicht weniger fremd als anderswo. Die Wüste ist dann aber ein Ort, in dem er auf neue Weise in seine innere Fantasiewelt abdriftet. Es ist natürlich auch ein überfrachteter, psychedelischer Sehnsuchtsort, also etwas, das zu dem Morgenlandfahrer-Klischee gehört, das er ja auf eine etwas kaputte Weise verkörpert. Gleichzeitig existiert in dieser Wüste aber auch ganz real ein Derwisch, mit dem er sich auseinandersetzen muss. Einen ähnlichen Menschen haben wir dort tatsächlich kennengelernt, was auch ein Glücksfall war und an den vielen Helfern lag, die uns so bereitwillig überall hin mitgenommen haben.
In Deutschland nennen Sie keine Städtenamen. Es sind anonyme Orte.
Ja, weil es eine verlorene Landschaft ist. Halbleer stehende Hochhäuser und sehr wenige Menschen. Dem Protagonisten gelingt es nicht, ins „normale“ Leben reinzukommen. Er hat keine Arbeit und keinen Kontakt zu anderen Menschen. Es ist seine persönliche deutsche Kleinkriminellenwelt, in der er höchstens auf andere Außenseiter, Illegale, Aussteiger, Künstler usw. trifft.
Auch in Ihrem Erzählband „Jackie in Silber“ kommen nur vereinzelt Ortsnamen vor ...
Wenn ich keine Ortsnamen nenne, beschreibe ich eine allgemeinere Welt. Einige empfinden es vielleicht auch als Nachteil, wenn sie keine konkreten Hinweise auf explizite Orte bekommen.
Aber nur, wenn der genaue Ort wirklich entscheidend ist, leuchtet es mir ein, den auch klar zu benennen. Anders ist es bei mir im Roman mit Teheran, das ist ja, einfach vom Wortklang her, sowieso schon ein mit allgemeinen Vorstellungen aufgeladener Ort, ein Ort wie ein Land also, ein Sehnsuchtsort. Isfahan wäre da weniger geeignet, obwohl das, was in Teheran erlebt wird, dort auch erlebt werden könnte.
Sie schreiben in Ihrem Roman, die Hauptfiguren Rupert und Robert seien so was wie sehr unterschiedliche Zwillinge, ein Stadt- und ein Landkind. Sind das zwei Ihnen vertraute gegensätzliche Charaktereigenschaften?
Ja, das Landkind Robert ist das Kind der Einöde. Er macht alles mit sich selbst aus und lebt in einer Fantasiewelt. Rupert dagegen muss raus, er reibt sich an seinen Mitmenschen auf, sucht nach Anerkennung usw. In einer Fantasiewelt leben aber beide. Sie verschwimmen auch manchmal zu einer Person. Vielleicht werden sie, in der Weise, in der sie sich aneinander annähern und kennenlernen, etwas wacher und klüger.
Wie sieht denn Ihre persönliche Sehnsuchtslandschaft aus?
Es ist immer mehr eine ländliche Landschaft. Und dann eher im Rheinischen als im Norden, von wo ich herkomme. Der Iran war aber schon auch ein Land, in dem ich gerne noch länger geblieben wäre. Gerade war ich in St. Petersburg, da war es auch schön, obwohl es wieder was ganz anderes ist. Aber der Sehnsuchtsort ist natürlich immer grundsätzlich da, wo man nicht ist. Und ihm wohnt auch immer so eine Art Geschichte inne, die Geschichte eines Lebens, das man dann dort führt. Bei mir liegt er immer in der Zukunft, aber bei vielen, vor allem älteren Menschen scheint er dann wieder in der Kindheit zu liegen. In Büchern, würde ich sagen, liegt er auf jeden Fall. Da kann man ihn einfangen. Ansonsten immer in der Fantasie.
© Jens Nommel 04/2013